Mordreds Tales – Der Teufel
Die Seherin

„Du erbittest von mir eine Gabe.
Du willst das Zweite Gesicht.
Suchst Antworten auf die Frage,
ob Du reich wirst oder nicht,
ob Du einst ein glücklich Leben führst
oder jung zur Hölle fahren wirst.
Ich will dieses Geschenk Dir geben.
Die Seele nehm‘ ich stets als Preis.
Umsonst ist nichts in einem Leben,
ich bin sicher, dass auch Du das weißt.
Ich lasse Deine Seele Dir.
Doch wird man Dich nach der Zukunft fragen,
musst stets Du die Wahrheit sagen,
sonst hol ich Deine Seele mir.“

Dies war Dein Versprechen,
dass ich die Zukunft sehen kann.
Doch scheint Dein Geschenk wie ein Verbrechen,
Sah ich doch alleine wann
einen Menschen der Tod ereilt.
Nie sah ich, wer im Glück verweilt,
mit einem Liebsten sein Leben teilt,
dem Unglück entschlüpft, von Bösem geheilt
ein langes Leben leben kann.

Nicht dacht’ ich, wäre schlimm Dein Beding,
doch ahnte ich nicht, was Du nur erlaubtest zu sehen.
Kein Licht sah ich, da die Zeit verging,
nur grausig im Dunkel das Leben vergehen.
Einer Mutter musst ich sagen, dass ihr Kindlein stürbe,
einem Mädchen, dass ungeküsst bleiben würde.
Rief ich Dich um Gnade, überhörtest Du mein Flehen,
überließest mich grausam Deiner Gabe Bürde,
als Todesbotin durch die Welten zu gehen.

In die Zukunft, sprachst Du, wär’ meine Sicht.
Was ich dort sähe, stünde im Pakt nicht,
nur <b>dass</b> ich sähe und müsste es sagen,
sollt’ mich jemand nach der Zukunft fragen.

Und doch verstehe ich Deine Tat.
Ich weiß, gegen Gott ist all Dein Streben.
Und gegen seinen Diener suchtest Du Rat,
der gottlos Gott dienend scheint ewig zu leben.
Als vor Tagen der Bischof mich zu sich rief,
mich klagte, dass ich eine Hexe sei,
mich ansah mit Augen voll Hass so tief,
entsann ich mich, was ihm ward prohezeit.

Ich sagte, dass ich keine Hexe wäre,
dass nur die Zukunft ich sehen würde
und diese Gabe nur für das Hehre
nutzte, ich nichts tat, dass einer stürbe
sein Vieh vergehe oder die Ernte misslinge.
Nur böse Hexen täten solche Dinge.
Der gottlose Bischof verlangte zu hören,
welches sei seiner Schwester Geschick.
Ich sah, sie würd’ einen Sohn gebären,
doch ihn lebend zu sehen wär’ nicht ihr Glück.
Denn des Kindes Vater entgegen Gottes Gebot
brächte Mutter und Kinde heut noch den Tod.

Die Schwester, die neben dem Bischof stand,
ward vor der Nachricht Schrecken bleich.
Vor Schmerzen griff sie sich unters Gewand.
Der Bischof hingegen ergriff sogleich
einen Dolch, stach auf seine Schwester ein,
rief: „Ein Kind der Sünd’ soll auf der Welt nicht sein!“
Der Schwester Kleid verfärbte sich rot.
Sie gebar ihr Kind, dann waren sie tot.

„Hexe!“ Der Bischof hob klagend die Hände.
„Du prophezeitest meiner Schwester Scheiden!“
„Bischof, auch sah ich Euer Ende.
Wie ich werdet Ihr im Feuer leiden.
Der Schnitter holt Euch, sagt des Volkes Mund,
tut eine Frau Euch Euer Ende kund.
Ihr mögt mich dem Feuer übergeben,
doch im gleichen Brand lasst Ihr Euer Leben.“

Man brachte mich zum Scheiterhaufen.
Ich sah den Bischof zu mir hin laufen,
mit der Fackel in den Händen,
mein Hexenleben zu beenden,
mit großem Argwohn mich betrachtend,
nicht auf seine Schritte achtend.
Er strauchelte, hob die Arme, fiel.
Zwar fand das Feuer noch sein Ziel,
doch fiel der Bischof hinterdrein.
Ich seh’ ihn brennen, hör ihn schrei’n,
seh’, dass er zahlt für jede Sünde:
Den Schwestermord und den am Kinde,
die Pein, die über’s Volk er brachte,
dass die Armen er verlachte,
manch Unschuld’gem das Leben nahm,
zu seiner Schwester er ins Bett einst kam.

Die Flammen lodern rings um mich.
Der Abendhimmel färbt sich rot.
In der Menge seh’ ich Dein lächelnd Gesicht.
Gleich ist es vorbei, gleich greift mich der Tod.
Ich sehe, wie Deine Hand nach mir greift,
spüre, dass übers Gesicht Du mir streichst.
Mit dem Engel des Todes werd’ ich nun geh’n.
Doch ich weiß, Du wirst mich wiederseh’n.