DIE GÖTTER

Mordreds Tales Mordreds Tales

Der Streit um eine partielle Anwesenheit

„Ich brauche Deine Hilfe.“

Der Hall der Stimme, die aus meinem Telefon drang, ließ mich das Schlimmste ahnen und meine Ahnung sollte sich bewahrheiten. Was auch sonst? Schließlich bin ich Gott. Allmächtig und allwissend.

Nein, nicht wirklich allmächtig, aber das erkläre ich euch später. Und auch nicht ganz allwissend. Ich habe die Relativitätstheorie nie verstanden. Ich weiß, dass Einstein Recht hat, aber ich habe es nie verstanden. Als wir Götter die Welt und das Universum erschufen, machten wir uns auch keine Gedanken um relativistische Physik. Aber ich habe im Laufe der Jahrtausende ein gutes Gefühl dafür bekommen, wann eine Katastrophe droht.

Bei der Sintflut zum Beispiel wusste ich vorher, dass etwas schief geht. Ich hätte auf mein Gefühl hören und Frigga nicht alleine in mein Bad gehen lassen sollen. Die Arme sah in den Spiegel und entdeckte ein graues Haar. Klar was dann passierte? Genau! Die arme Frigga fiel in Ohnmacht. „Ein graues Haar! Mir nimmt keiner mehr die 29 ab!“ Plumps, sie lag am Boden. Und hatte das Wasser schon aufgedreht. Und das Badezimmer abgeschlossen. Ist natürlich ihr gutes Recht als Frau, unbeobachtet zu baden aber dadurch konnte ich nur noch eine Warnung an Noah funken, damit er die Arche baut, bevor meine Badewanne überläuft.

Als nun eine tiefe, dröhnend-hallende Stimme aus meinem Telefonhörer drang und ruhig und nüchtern feststellte, dass meine Hilfe benötigt würde, sah ich schon das Ende der Welt vor meinen Augen. Wenn nämlich Thanatos um Hilfe bittet, ist, wie ihr Menschen so schön sagt, die Kacke am Dampfen. Und was soll ich sagen? Ihr Menschen schafft mich manchmal. Wir gaben euch den freien Willen und wir gaben euch Intelligenz. Warum eigentlich benutzt ihr beides immer nur separat und nie in Kombination?

Was war passiert? Das Internet war passiert. Das Internet gepaart mit menschlicher Kreativität, Gier und Dummheit.

Seid ihr Menschen entdecktet, dass es im Bereich des Machbaren ist, dass der Eine mehr besitzt als der Andere, trachtet ihr danach, dass dies auch wirklich so ist. Und in diesem Trachten offenbart ihr ein hohes Maß an Kreativität. Womit ihr nicht alles Reichtum anhäufen könnt!

Bitte, liebe Menschen, versteht meine Worte nicht falsch, wenn ich von Dummheit spreche. Im Grunde seid ihr nicht dumm. Aber in der Masse fehlen die Zeichen eurer Intelligenz recht häufig. Das zeigt ihr vor allem, indem ihr auf Unsinn reinfallt, mit dem ein anderer Mensch sich eine goldene Nase verdient. Und an einem solchen Fall war mein sonst so schweigsamer Freund Thanatos gerade verzweifelt.

Es gibt nämlich Menschen, das wisst ihr auch, die etwas klüger sind als andere. Manche dieser klugen Menschen studieren dann die Wissenschaften und nennen sich mit Glück irgendwann „Doktor“. Ein Doktortitel schützt vor Torheit nicht, das will ich euch an dieser Stelle verraten. Im Gegenteil führt er manchmal sogar in dem Bestreben des Doktorius, seinen Status immer noch zu verbessern, in Situationen, derer ihr nicht mehr Herr werdet. Ihr könnt gerne den Johann Faust befragen. Später, wenn ihr ihn in der Nachwelt trefft.

So ein Doktortitel macht auf jeden Fall Eindruck unter euch Menschen. Wer Doktor ist, ist klug, hat studiert und weiß auf jeden Fall mehr als der Rest der Menschheit. Denkt ihr. Und genau dieses Denken machten sich erfinderische und höchst kreative Menschen zunutze. Sie verkaufen Doktortitel, ja sogar Honorarprofessuren im Internet. Und man muss dazu nicht einmal studiert haben.

Und was für Doktoren dort verkauft werden! Meine Top-3-Lieblingsdoktortitel sind:

Platz 3: Der „Doctor of church management“. Es gibt Tage, an denen ich glaube, so etwas braucht man im Vatikan. Aber ehrlich: Der Titel ist nicht einmal heiße Luft.

Platz 2: „Doctor of immortality“ - Doktor der Unsterblichkeit. Nun, ich bin unsterblich und ihr dürft mich ab sofort Dr. Gott nennen.

Die Krönung ist jedoch

Platz 1: Der „Doctor of astral projection“. Was bitte soll ein Doktor der Astralprojektion sein? Ich verstehe es nicht. Niemand, den ich persönlich kenne, versteht es.

Aber die Ereignisse um jenen Hilferuf aus der Unterwelt lehrten mich, dass manche Menschen - manche im Grunde hochintelligente Menschen - tatsächlich dumm genug sind, auf solchen Unsinn reinzufallen.

Denn genau dies war passiert. Herr Ignazius Römmstetter brauchte etwas, das die Leute beeindruckt zu ihm schauen lässt. Ein „Bachelor of science“ in Psychologie reichte nicht, er brauchte einen Doktortitel und das möglichst gestern. Keine Zeit, weiter zu studieren, eine Dissertation zu schreiben und diese zu verteidigen. Als kaufte Herr Römmstetter sich den Titel eines Doktors der Astralprojektion.

Dummerweise führte dies dazu, dass der gute Ignazius diesen Titel zu rechfertigen trachtete. Die echten Doktoren belächelten ihn ob seines erkauften Status und so machte er sich daran, die Astralprojektion wissenschaftlichst zu erforschen. Soweit man esoterischen Dingen mit wissenschaftlichen Mitteln auf den Pelz rücken kann. Herr Römmstetter studierte alte theologische Schriften, er studierte hernach alte asiatische Schriften und als er fertig war, studierte er die Meditationen der alten Inder. Und ehe er es sich versah, gelang es ihm tatsächlich, sich von seinem irdischen Körper zu lösen.

Ignazius schrieb die Ergebnisse seiner Studien nieder und veröffentlichte sie, um sich den Titel des Doktors auch wirklich zu verdienen. Zunächst jedoch verdiente er eine Menge Geld, denn wenn es um Esoterik geht, vergesst ihr Menschen nur allzu leicht und schnell und gerne, dass ihr eigentlich höchst aufgeklärt seid. Im Volke kam seine Doktorarbeit also gut an, wobei die einen wie Kinder staunten und die anderen dem Buche einen wunderbaren Humor und dem Autor ein ausgezeichnetes Händchen für Satire bescheinigten. Die studierten Herren Doktoren nur belächelten Herrn Römmstetter weiter, sagten, eine Doktorarbeit müssen man schon ernst meinen und trieben in den Zeitschriften und Fernsehmagazinen allerlei Schabernack mit dem armen Ignazius. Und genau deshalb …

Genau deshalb rief mich der Gott des Todes um Hilfe. Ignazius wollte den Studierten seine Thesen beweisen und lud sie in seine neu erworbene Villa ein. Er offerierte Ihnen, sich an einen Ort astralzuprojizieren, den die anderen frei wählen durften und mit Antworten zurückzukehren, die er im Vorfeld nicht wissen konnte.

Herr Professor Doktor Max Marius Invidan wünschte Auskunft über den Verbleib seiner Gattin, die er wie jeden Morgen in seinem Hause zurückließ, um sich seiner Lehrtätigkeit zu widmen, und bat Herrn Römmstetter, sich in sein - Herrn Invidans also - Haus zu begeben und die liebe Gattin nach den Plänen für das Abendessen zu fragen. Herr Römmstetter berichtete dem Professor, es gäbe dessen Leibspeise, Pizza Hawaii nämlich, die die Gattin noch aus dem Supermarkt holen werde, wenn sie mit ihrem Stelldichein im Hotel Luxuria am Ende wäre. Herr Römmstetter besuchte gleich im Anschluss noch einmal die Gattin, ihr auszurichten, sie könne sich Zeit lassen, da Herr Invidan zum Abendessen im örtlichen Krankenhaus versorgt werden, nachdem er nach einem kurzen Tobsuchtsanfall über die Nachricht mit einem Herzinfarkt zusammenbrach.

So brachte ein jeder seinen Wunsch nach einer spezifischen Information hervor und Ignazius bescherte einem jeden das gewünschte Wissen. Der letzte Anwesende jedoch, Klaus Nieser, zeigte sich in hohem Maße besorgt um den Zustand des Professor Invidan und bat Ignazius, diesen aufzusuchen und mit Kunde über sein Wohlergehen zurückzukehren, vor allem aber mit einer Nachricht, wo denn die Unterlagen für des Professors nächste Vorlesung seien, die Klaus Nieser in des Professors Vertretung übernehmen wollte. Zu demselben Zeitpunkt legte die Fähre Charons am jenseitigen Ufer des Styx an und ein junger Mann, der sich einst als Held hervortat, indem er die sogenannte Rollkeule in Hades Reich brachte, mit der sich Persephone von letzterem befreite, geleitete den Professor über den Steg. Herr Römmstetter hingegen suchte und fand den Professor. In der Unterwelt.

Und ich fand den Ignazius in der Unterwelt. Zumindest einen Teil von ihm und diesen Teil von Ignazius wollte Thanatos nicht wieder weglassen. Wer einmal in der Unterwelt ist, kann nicht zurück. So sind die Regeln. Der Römmstetter wiederum meinte, er sei ja eigentlich nicht wirklich da, er sei ja in Wirklichkeit noch in seinem Büro. Der Fährmann machte ein mürrisches Gesicht und verkündete lautstark, er werde den Mann nicht zurückbringen. Ignazious rief aufgeregt zurück: „Brauchst Du doch gar, Mann! Ich gehe doch alleine zurück!“ Der Gott des Todes sah mich verzweifelt um Hilfe flehend an. Satan stand an der Seite und grübelte: „Kommt das jetzt auf die Liste seiner Verfehlungen?“ Alle schnatterten durcheinander, bis Hades, der große Chef in der Unterwelt, selbige mit einem lauten „RUHEEEEE!!!!!“ erfüllte.

„Leute, ich muss langsam zurück“, appellierte Ingnazius Römmstetter an die Umstehenden. „Mein Körper liegt vollkommen unkontrolliert in einem Büro und ich habe keine Ahnung, ob nicht jemand meine Brieftasche klaut.“

Ihr Menschen seid so auf euer Hab und Gut versessen! Aber in eurer Gesellschaft habt ihr auch kaum eine Wahl. Ohne Geld seid ihr nicht mehr überlebensfähig. Wer von euch weiß noch, wie man etwas zu essen teilt? Oder einfach selbst Nahrung anbaut? Aber ich kann euch versprechen, dass es besser wird. Irgendwann wird einer kommen und all euren Zwist beiseite wischen, eure Kriege beenden und die Menschheit vereinen. Woher ich das weiß? Ich bin … Nein, Quatsch! Ich habe es irgendwo gelesen. Eine alte Prophezeiung. Irgendwas mit Kranichen.

Ich schweife ab. Lasst mich zum Thema zurückkommen. Wo war ich? Ach ja! Römmstetter appellierte.

„Ach, halt die Klappe!“, maulte Hades den armen Ignazius an. „Was ist hier los? Was soll der Aufruhr? Kann mir irgendjemand sagen, warum ein hart arbeitender Gott nicht in Ruhe schlafen kann?“

Thanatos blickte seinen Chef fragend an.

„Guck nicht so blöd!“, schnauzte Hades und der Totengott widmete sich wieder dem vermeintlichen Eindringling und tat beschäftigt. Oder vielmehr nachdenklich.

Der Unterweltchef blickte ungeduldig von einem zum anderen. Satan zuckte unschuldig mit den Schultern, der Fährmann grummelte grimmig und schließlich blieb Hades Blick an mir hängen.

„Sieh mich nicht so an!“, wehrte ich ab. „Ich bin gerade erst angekommen. Und dass Dir keiner den hart arbeitenden Gott abnimmt, ist nicht meine Schuld.“

Hades kam drohend einen Schritt näher und ich entschied mich, den Weg der Deeskalation einzuschlagen, bevor die Angelegenheit aus dem Ruder lief. Ich wollte keine Kollateralschäden riskieren. Ihr glaubt gar nicht, wie kindisch sich manche Unsterbliche benehmen können, wenn mal nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist! Beispiel? OK:

Ares: „Der hat mich gehauen!“

Hephaistos: „War ja nicht mit Absicht! Außerdem hast Du angefangen!“

Ich: „ Was habt ihr denn nun schon wieder?“

Ares: „Der hat mich gehauen!“

Hephaistos: „Der hat mir meine Spielsachen weggenommen! Und meine Frau!“

Ganz ehrlich: Ich habe keinen Bock auf dieses Theater. Also beugte ich dem lieber vor und sah zu, dass Hades nicht zu sehr auf die Palme geriet.

„Also, was ist los?“, fragte ich in die Runde, ganz ruhig wie ein Vater seine Kinder befragt (oder befragen sollte), wenn es Probleme gibt.

Ich erspare euch die Wiederholung des „Tatherganges“. Ich glaube, ich berichtete schon einmal zu oft, was geschah. Der Totengott berichtete mir vom Auftauchen des Herrn Doktor Römmstetter und Letzterer erzählte mir ausführlich seine Geschichte. Oder wollte es tun, denn ich unterbrach ihn, als er bei seinem sechsten Lebensjahr ankam und lud mir seine Akte auf mein Tablet. Ja, liebe Menschen, es gibt WLAN in der Unterwelt. All die Nerds unter euch können also beruhigt auf ihr Verlassen der Welt der Lebenden blicken. Und in dieser einen Sache sind wir euch technologisch voraus: Wir haben das papierlose Büro!

Ich überflog also die Akte, zuckte kurz mit dem Schultern, als ich beim Kirchenaustritt des Herrn Doktor ankam, zog fragend die Augenbrauen hoch, als ich über seine spirituelle Neuausrichtung las und schüttelte schließlich ungläubig den Kopf über Römmstetters Geltungsdrang, aus dem heraus er sich den Titel des Doktors der Astralprojektion kaufte.

„Mann, Mann, Mann!“, raunte ich dem Ignazius zu, „Warum machst du denn so 'ne Scheiße? Glaubst du wirklich, der Doktor bringt dich spirituell irgendwie weiter?“.

Römmstetter sah mich verdutzt und murmelten etwas in der Art von „Na ja … also … nun …“.

„Fühlst du dich jetzt wirklich als ein besserer Mensch, nur weil du so 'nen vollkommen unsinnigen Titel trägst? Astralprojektion kann nun wirklich jeder lernen, der die nötigen Anlagen mitbringt. Wenn du Geld übrig hast, tu damit was Gutes und mache dir einen wirklich bleibenden Namen!“

„Das trägt jetzt nicht unbedingt zur Lösung meines Problems bei“, unterbrach mich Hades.

„Du aber auch nicht“, gab ich zurück. „Ich denke, du bist der große Unterweltboss und hast das ultimativ letzte Wort!“

Manchmal ist weniger mehr und eine große Klappe unangebracht. Aber ich erwiderte einfach den Blick des Großen Hades und sagte nichts weiter. Schweigen breitete sich aus, bis Satan eifrig aber unsicher dazwischenrief: „Soll ich das nun auf die Liste seiner Verfehlungen setzen?“

„Seit wann ist ein Besuch hier unten eine Verfehlung?“, fragte ich.

„Nicht das! Die Astralprojektion!“

Ich bin mir sicher, nie etwas gegen diesen Weg der Erkenntnissuche gesagt zu haben. Ganz sicher sogar. Aber mein Chefankläger wusste es besser.

„Der Vatikan hat Astralprojektion in einem Edikt vom 29. Februar 1793 geächtet.“

„Echt? Ist das wahr? Warte mal!“

Ich ging einen Schritt zur Seite um ungestört telefonieren zu können.

„Hermes? Du hör mal, tust Du mir einen Gefallen? Düse mal schnell nach Rom runter und erkundige Dich, ob Astralprojektion tatsächlich als unerwünscht eingestuft wurde! Und wenn ja, könntest Du die entsprechenden Dokumente gleich digitalisieren! Danke Dir, Großer! Bist ein Schatz.“

Hermes, früher Götterbote der Griechen, jetzt Leiter meiner IT-Abteilung ist wie geschaffen für solchen Aufgaben. Er macht den Job mit einer solchen Inbrunst, dass mir selbst die Worte fehlen, es zu beschreiben. Es schadet aber nicht, ihn ein bisschen zu bauchpinseln.

„Gut“, sagte ich schließlich nach meinem Telefonat. „Satan, du hältst erst einmal die Füße still mit der Liste. Lass uns eruieren, ob es wirklich eine Verfehlung ist. Thanatos …“

„Dem Edikt nach ist es eine, Boss“, fiel mir Satan ins Wort. „Das Strafmaß liegt bei Dir und Du kannst ihn ja dafür straffrei aus der Sache kommen lassen.“

Stimmt. Aufmerksame Mitarbeiter sind schwer zu ersetzen. Andererseits muss ohnehin erst meine Zuständigkeit geprüft werden, schließlich ist der Römmstetter ja ausgetreten. Wahrscheinlich habe ich also ohnehin keine Handhabe und mein Staatsanwalt auch nicht.

Dachte ich wohl laut, denn Ignazius drehte sich verlegen auf den Boden schauend zu mir und meinte, er hätte nur die von Menschen geschaffene Institution verlassen, weil ihre Regeln zu enge Grenzen für seine spirituelle Entwicklung seien. Nie aber hätte er sich von mir abgewandt. Für Satan gab er gleich zu Protokoll, dass er als Protestant von jenem Edikt vom 29. Februar 1793 nichts wusste und sich auch nicht an päpstliche Edikte gebunden fühle. Der Herr Ankläger notierte den Einwand dienstbeflissen.

„Thanatos“, fuhr ich fort, „Wie sind die genauen Regeln für den Unterweltbesuch? Ich glaube auch, mich an drei Präzedenzfälle zu erinnern, in denen Personen wieder zurück durften.“

„Wie meinen?“, hinterfragte der Totengott verwirrten Blickes.

„Da wäre die Causa Herakles. Er besuchte die Unterwelt und brachte heldenhafterweise den Kerberos in die Oberwelt. Er verließ die Unterwelt also wieder.“

Hades schnaubte: „Kunststück! Kerb ist kein Monstrum. Herakles hat ihm ein Leckerlie gegeben, ein bisschen mit ihm gespielt und ihn dann Gassie geführt.“

„Aber er verließ die Unterwelt wieder. Das ist der Fakt. Weiterhin hätten wir den Fall Perseus, der in die Unterwelt kam und die Medusa erschlug. Kam auch wieder zurück.“

„Hat ihr einen Gefallen getan, wenn Du mich fragst“, bemerkt Thanatos. „Sah nicht wirklich hübsch aus mit dem Schlangenleib.“

„Und verließ die Unterwelt“, stimmte Hades zu. „Du sprachst von drei Fällen.“

„Also die Perseussache“, mischte sich der grimmige Gott der nicht mehr Lebenden ein, „können wir nicht gelten lassen. Der Junge hat sich hier reingeschlichen und ist einfach abgehauen. Außerdem war er nur in der Vorhalle.“

„Haarspalterei“, grunzte Satan, was ihm tadelnde Blicke der Umstehenden einbrachte. Abgesehen vom Doktor Römmstetter, der beifällig nickte.

„Der dritte Fall?“, forderte Hades mich auf.

„Orpheus“, erwiderte ich. „Wollte seine geliebte Eurydike zurückholen und du selbst hast es ihm erlaubt, Hades. Und die liebliche Eurydike selbst ist ja inzwischen auch nicht mehr hier unten, soweit ich weiß.“

Hades‘ Gesicht verzog sich in unangenehmer Erinnerung und er betastete verstohlen seinen Kopf, wo noch deutlich eine von einem Nudelholz stammende Beule zu sehen war. Thanatos wollte aber nicht kleinbei geben.

„Diese Fälle waren vom Chef persönlich abgesegnet.“

„Eurydike nicht. Hinzu kommt, dass Herr Römmstetter ja nur halb hier ist. Was sagt das lex infernii hierzu?“

„Das was? Sind wir Römer?“, grummelte Hades.

„Letztlich auch das, mein Bester“, erwiderte ich. „Dass Disney Deinen römischen Namen für einen Hund missbraucht hat, ändert daran nichts.“ Nach einer kurzen Pause fügte ich kichernd und betont hinzu: „Pluto!“ Komisch, dass nur Hades nicht darüber lachen konnte.

„Unten ist unten“, kam Thanatos auf das Thema zurück. „Es gibt keine Regel, die hier unterscheidet.“

„Streng genommen“, warf Satan ein, „hat Hades diesbezüglich gar keine Regel aufgestellt.“

„Guter Punkt“, pflichtete ich bei.

„Unten ist unten“, beharrte Thanatos.

Hades grübelte. Vielleicht sollte er die Rechtsabteilung hinzuziehen, sagte er schließlich und es entspann sich eine Diskussion zwischen den anwesenden Göttern. Eine Diskussion, die sich über Stunden hinzog. Herr Römmstetter stand daneben und folgte den Argumentationen gebannt.

Um ehrlich zu sein, die Diskussion war recht laut und nicht sehr fruchtbar. Ich erspare euch daher Details. Während die anderen diskutierten und Doktor Römmstetter zusah, als wäre er das berühmte Kaninchen vor der Schlange, setzte ich mich abwartend auf einen Stein und drehte mir eine Zigarette. Ist eigentlich eine schreckliche Angewohnheit, aber manchmal braucht man so etwas. Auch als Gott. Ich hoffte eigentlich, der Herr Doktor wäre schlau genug, die Lösung für das Dilemma selbst zu finden, aber er stand nur da und beobachtete, welche Seite nun gewinnen möge. Selbst, als ich ihm in die Augen sah, meine linke Braue hob und ihn mit einer Kopfbewegung bedeutete, doch endlich einfach abzuhauen, blieb er wie angewurzelt stehen.

Nur einer wusste mein Zeichen richtig zu deuten. Es geht doch nichts über aufmerksames Personal.

„Was ist nun eigentlich“, mischte Satan sich in die Diskussion ein, „wenn der Doktorius einfach VERSCHWINDET? Ich meine nur. Mal so prinzipiell. Also ich spiele einfach mal des Teufels Advokaten. Was ist, wenn Doktor Römmstetter einfach ABHAUT, während wir hier die Tatsachen erörtern?“

Satan nahm den Doktor dabei gönnerhaft in den Arm und schüttelte ihn bei den Worten „verschwindet“ und „abhaut“. Die anderen Teilnehmer des unterweltlichen Stuhlkreises sahen sich an und suchten nach Argumenten, wie ein solches Verhalten handzuhaben sei. Römmstetter rührte sich nicht, bis Satan ihm in die Augen sah und ihn stumm fragte: „Was machst du hier noch, du Idiot?“ Endlich kapierte der arme Tropf und sein Astralleib löste sich auf.

Satan drehte sich zu den juristischen Kombattanten um hielt aber auf einen Wink von mir die Klappe. Nichts überstürzen, dachte ich. Lass sie sich noch ein bisschen die Köpfe heiß reden.

„Aber er kann nicht einfach abhauen, solange das nicht geklärt ist!“, forderte Thanatos schließlich. Das war mein Stichwort.

„Wo ist der Delinquent eigentlich hin?“

Die Götter der Unterwelt drehten sich um und blickten auf Römmstetters leeren Platz.

„Wo …“, stotterte Thanatos. „Wo … Weg!!!“

„Schätze, die Sache hat sich erledigt“, murmelte Satan süffisant. Ich selbst hielt es für besser, zu verschwinden, bevor meine Rolle beim Verschwinden des Astralprojektionsdoktors ans Licht käme.

„Wenn ihr wieder ein Problem habt“, rief ich den anderen zu, „ruft meine Hotline an. Bis bald!“

***

Zwei Wochen später erreichte mich übrigens eine Anfrage aus Rom, weshalb in letzter Zeit keine Engel mit göttlichen Ratschlägen meinerseits mehr kämen. Es war nämlich so, dass Hermes tief vergraben in den vatikanischen Archiven – so tief vergraben, dass sich niemand um den Heiligen Stuhl herum mehr daran erinnerte – tatsächlich ein Edikt fand, das Astralprojektion untersagte. Mein Ankläger hatte wie immer Recht. Allerdings hegte ich Zweifel an der Authentizität und hege sie immer noch.

Ich gab daher folgende Presseerklärung raus:

„Aufgrund des päpstlichen Ediktes vom 29. Februar 1793 ist in katholischen Kreisen die Anwendung der Astralprojektion seit nunmehr über 220 Jahren untersagt.

In Anbetracht dessen, dass das Jahr 1793 kein Schaltjahr war, bestehen erhebliche Zweifel an der Echtheit des fraglichen Dokumentes. Es werden jedoch sämtliche von meinen Boten übermittelten Nachrichten auf eben diesem untersagten Wege überbracht. Aus diesem Grunde bleibt der Versandt von Botschaften bis zur Klärung der Angelegenheit durch unsere Rechtsabteilung zunächst aus. Ich bitte um euer Verständnis, dass auch ich mich nicht über das Gesetz stellen kann.“

Tja, das kommt davon, wenn man so unsinnige Regeln verzapft. Wie hieß es im alten Griechenland so schön: Wer Alpha sagt, muss auch Beta sagen.

Doktor Ignazius Römmstetter wiederum wurde drei Tage nach seinem Besuch in der Unterwelt von einem Traktor überfahren. Er führt jetzt aus seiner persönlichen Erfahrung heraus eine Rechtsberatungsstelle für göttliche Zweifel.

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